Sur-Place-Dialog Griechenland

SurPlaceDialog Griechenland

„Migration in der Krise“

… im Rahmen der Projektreihe „Fortress Europe – Migration at Europe’s External Borders“

[english version]

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„Jede Nacht kommen sie hier vorbei, ganz nass und elend“, sagt Maria. Die alte Dame aus Kastanies sitzt in einem gemusterten Kleid auf einem Gartenstuhl vor ihrem Haus in der Abenddämmerung. Es ist eine einsame Gegend, am Ortsausgang Richtung no-man‘s-Land zwischen Griechenland und der Türkei. „Uns stören sie nicht“, führt Dimitris, ihr Enkelsohn, fort, der neben ihr sitzt. Er hat gerade sein Abitur gemacht und wird bald die Evros-Region für das Studium verlassen, ebenso wie die meisten anderen jungen Leute aus dem Grenzgebiet. „Sie tun uns ja nichts, ziehen hier friedlich vorbei. Aber in den letzten Wochen sehen wir kaum mehr Flüchtlinge.“ Damit sind die beiden nicht alleine: das komplette Gebiet entlang des Evros, dem Fluss, der die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei markiert, und seit einigen Jahren die bevorzugte Eintrittsgrenze für Migranten in die EU ist, wirkt wie ausgestorben. Weder auf den Dorfplätzen in den Grenzstädten Nea Vissa und Orestiada noch auf dem Omonia-Platz, dem zentralen Versammlungsort für Flüchtlinge in Athen, sind Anfang September Flüchtlinge zu sehen.

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Vom 30. August bis zum 8. September 2012 reisten Klaas Eller, Lena Kampf, Julia Lemke, Nele Weßels und Janna Weßels im Rahmen des Projekts „Fortress Europe – Migration at Europe’s External Borders, Sur Place Dialog Greece, Migration and Crisis” nach Griechenland, um gemeinsam mit einigen griechischen DAAD-Stipendiaten und –Alumni die Situation der Flüchtlinge in Griechenland im europäischen Kontext aus einer jungen, cross-kulturellen und interdisziplinären Perspektive zu betrachten. Der Sur-Place-Dialog umfasste dabei zunächst drei Projekttage in Berlin zur Vorbereitung, während derer die Projektgruppe u.a. Vertreter des Auswärtigen Amts, des UNO-Flüchtlingshochkommissars (UNHCR) und des Evangelischen Kirchendienstes (EKD) sprechen konnte. Es folgten zwei Tage in Athen, ein Tag in Patras und drei Tage in Evros, der Grenzregion zur Türkei, mit zahlreichen Gesprächen mit Vertretern von verschiedenen griechischen Behörden, darunter z.B. der neue Asylum Service, mit Polizeimitarbeitern und Bürgermeistern, sowie Diskussionen mit Mitarbeitern von NGOs, mit griechischen Studenten, aber auch mit Passanten, mit Insassen und Mitarbeitern von Detention Centres, sowie mit Migranten und Asylsuchenden selbst. Im Verlauf dieser zehn Tage intensiver Auseinandersetzung mit der Flüchtlings- und Migrationsthematik zeichnete sich Stück für Stück ein komplexes Bild, das geprägt ist von zahlreichen Antagonismen und Dilemmata.

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Insbesondere im Kontext der Krise ist das Land mit der großen Zahl an Migranten und Flüchtlingen vollkommen überfordert. Es gibt kein funktionierendes Asylsystem und weder Arbeit noch sonstige Unterstützung für die Migranten, die so häufig auf der Straße leben müssen. Im Zentrum aller Gespräche stand die aktuelle Operation „Xenios Zeus“, für die Anfang August von einem Tag auf den anderen mehrere Tausend Polizisten mobilisiert wurden, um die Außengrenzen rigoros abzuriegeln und die Migranten und Flüchtlinge aus dem Stadtbild zu entfernen. Sie wurden eingesammelt und in „vielleicht etwas schnell gemachte“ Auffanglager gebracht, wie uns der Präsident der Gewerkschaft der Grenzpolizisten Babis Pantelidis in der Grenzregion erklärt. „Xenios Zeus“, benannt nach dem „Gott der Gastfreundschaft“, war eine Hauruck-Aktion des Ministeriums für Öffentliche Ordnung und Bürgerschutz. Im Laufe des Projekts wurde deutlich, dass die Operation als Ausdruck der mangelnden Balance zwischen Solidarität und Verantwortung in der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik gelten kann. Ein Gefühl der Ohnmacht zeigt sich bei den verschiedenen Akteuren auf allen Ebenen: Die Grenzpolizisten fühlen sich allein gelassen bei der undankbaren Aufgabe der Überwachung der Grenzen, die Menschen in der Evros-Region fühlen sich allein gelassen von der griechischen Regierung, Griechenland fühlt sich allein gelassen von der EU. So wundert sich zum Beispiel Herr Evangelos, der Vize-Bürgermeister von Orestiada, einem Städtchen am Grenzfluss Evros: „Ich kann nicht verstehen, wie ein Land als Abflussrohr Europas fungieren kann“. Und die griechische Studentin Eleni betont: “Für mich ist dies eine europäische Angelegenheit, keine griechische. Europa muss die Migrations- und Flüchtlingsfrage gemeinsam angehen, und kann sie nicht einzelnen Ländern an der Grenze überlassen.“

Weitere Informationen

Projektbericht

Ein ausführlicher Projektbericht auf deutsch mit Fotos unter dem Titel „Gefangen im Land der Krise: Migranten und der Gott der Gastfreundschaft“

Oxford Monitor of Forced Migration (Volume 3 Number 1 May 2013)

Ein Artikel auf englisch von Nele und Janna Weßels unter dem Titel „Trapped in Greece – A Report about Experiences of Migrants, Asylum Seekers and Border Policemen during the Early Weeks of the Operation Xenios Zeus“, erschienen in der Zeitschrift Oxford Monitor of Forced Migration.

Finales Programm
Das Programm des Sur-Place Dialogs mit ausführlichen Angaben zu Gesprächspartnern und Institutionen

Der griechische Sender Thrakinet sendete einen kurzen Beitrag mit einem Interview der Projektleiterin Janna Weßels über den Sur-Place Dialog.

Zwei lokale Zeitungen in der Evros-Region haben ebenfalls auf griechisch über das Projekt berichtet, 889-News und Elthraki.

Im Wochenmagazin Stern Nr. 43 vom 17.10.2013 erschien ein Artikel unter dem Titel “Dieser Zaun teilt die Welt”, zu dem Teammitglied Lena Kampf Eindrücke vom Projekt beitrug.

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Phase 4: Hamburg 2015