Gelungene Auftaktveranstaltung vom 08. bis 10. Juni 2007 in Berlin
Von André Kistner und Stefan Schaffer
China ist ein Land der Rekorde. In vielen Bereichen vollbringt das Reich der Mitte eine Höchstleistung nach der anderen: atemberaubende auwerke, Megastädte und Kunstsammlungen entstehen, das Wirtschaftswachstum erreicht Größenordnungen, von denen wir hierzulande nur träumen können, und auch der sportliche Ehrgeiz der Chinesen wird insbesondere bei den Vorbereitungen zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking unübersehbar. Doch auch andere Superlative gehören zu China: In keinem anderen Land der Welt werden mehr Menschen hingerichtet oder mehr Journalisten inhaftiert. Die Liste trauriger Rekorde umfasst ebenso die Umweltverschmutzung, welche zum Teil verheerende Ausmaße angenommen hat, und das starke Einkommensgefälle in der chinesischen Gesellschaft.
Doch wie soll sich die Weltgemeinschaft vor dem Hintergrund des – zweifelsohne als ambivalent einzuschätzenden – Aufstiegs der neuen Großmacht „China“ verhalten? Der Versuch einer Beantwortung dieser Fragestellung bildet das Grundkonzept des Deutsch-Chinesischen Studentendialogs (DCSD), einer neuen und langfristig orientierten Initiative des Studentenforums im Tönissteiner Kreis.
Das Konzept des Deutsch-Chinesischen Studentendialogs
Aus westlicher Perspektive scheint es nur allzu verlockend, von den positiven Aspekten des chinesischen Wachstums profitieren zu wollen. Besonders deutsche Unternehmen haben früh damit begonnen, ihre Waren und Dienstleistungen erfolgreich in China zu produzieren und dort wie hier zu vertreiben. Auch der hiesige Verbraucher profitiert von den deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen, indem z.B. elektronische Artikel wie Handys oder Computer vergleichsweise günstig erworben werden können.
Soweit die positive Seite der Medaille. Doch wie ist es um den Umgang mit den negativen Aspekten des chinesischen Aufschwungs bestellt? In der deutschen Gesellschaft sind diesbezüglich zwei grundlegende Verhaltensweisen zu beobachten. Im ersten Fall werden die fragwürdigen Elemente schlichtweg ausgeblendet. So machen sich deutsche Verbraucher beim Kauf eines neuen Laptops oder einer neuen Digitalkamera selten Gedanken über die Umstände, in denen die begehrten Produkte entstanden sind – die (teilweise) menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und Umweltbelastungen betreffen sie schließlich nicht direkt. Im zweiten Fall werden die negativen Aspekte der chinesischen Entwicklung in ungewöhnlicher Schärfe kritisiert. Beispielhaft seien cie zahlreichen deutschen Politiker angeführt, die ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse chinesischer Kommunikationsprozesse die kommunistische Regierung in aller Öffentlichkeit angreifen. Durch ihre Verhaltensweisen nehmen sie eine drastische Verschlechterung der deutsch-chinesischen Beziehungen in Kauf.
Im Umgang mit der aufstrebenden Macht „China“ will der Deutsch-Chinesische Studentendialog neue Korridore öffnen und bisher unbeschrittene Wege gehen. Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist die Überzeugung, dass die nachhaltige Beilegung interkultureller Differenzen und Streitigkeiten grundsätzlich nur erfolgen kann, wenn ein gegenseitiges Verständnis besteht. Mit anderen Worten: Die involvierten Parteien müssen die Bedürfnisse, Ängste und Wünsche ihres Gegenübers kennen und angemessen berücksichtigen, um eine partnerschaftliche Zusammenarbeit über Landes- und Kulturgrenzen hinweg zu ermöglichen. Unter dem Leitgedanken des Appreciative Inquiry-Ansatzes hat es sich der Deutsch-Chinesische Studentendialog zum Ziel gesetzt, zunächst eine wertschätzende, aufwertende Erkundung der Stärken und Erfolge beider Kulturkreise und ihrer Menschen vorzunehmen. Durch das gezielte Stellen von Fragen sollen positive Aspekte erkundet werden, die in erster Linie verbinden und das Potenzial für eine gemeinschaftliche Weiterentwicklung haben. Dies schafft die Grundlage für die geistige Bereitschaft, Veränderungen anzustreben und in einem weiteren Schritt auch schwierige Themen anzusprechen. Aus Sicht der studentischen Generation interessieren vor allem zukunftsweisende Themen, welche die Kulturen abseits von bestehenden roblemfeldern zusammenführen. Relevante Fragestellungen es DCSD 2007 lauteten deshalb: Was können wir gemeinsam tun, damit wir uns in der Welt sicherer fühlen? Wie können wir erreichen, dass die Umwelt auch für nachfolgende Generationen noch eine lebenswerte Grundlage bildet? Diese Formulierungen bewirkten, dass sich die Teilnehmer von der einseitigen Sichtweise des „Was will ich?“ lösen und das Hauptaugenmerk auf gemeinsame, kulturübergreifende Herausforderungen richten konnten. Indem von wenig zielführenden Schuldzuweisungen und Anschuldigungen abgesehen wurde, konnte ferner die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit geschaffen werden.
Zusammenfassend plädiert der Deutsch-Chinesische Studentendialog also für eine Neuerfindung des aus der deutschen Geschichte bekannten Konzepts „Wandel durch Annäherung“. In diesem Sinne sollen Deutschland und China aufeinander zugehen, nicht obwohl es Differenzen gibt, sondern gerade weil diese existieren. Dadurch sollen schrittweise die Problemfelder des Status quo eröffnet und gemeinsam gelöst werden.
Ergebnisse & Erfahrungen des Deutsch-Chinesischen Studentendialogs 2007
Im Anschluss an die Asienreise des Studentenforums 2006 sowie die letzten Jahresgespräche des Tönissteiner Kreises 2007 mit Schwerpunkt Asien fand die Gründungsveranstaltung des Deutsch-Chinesischen Studentendialogs vom 8. bis zum 10. Juni 2007 in Berlin statt. Zum Wochenendsymposium reisten 27 Teilnehmer (13 Chinesen, 14 Deutsche) an, die sich zuvor einem Auswahlverfahren gestellt hatten. Zum Auftakt am Freitag war die Gruppe in der Hauptstadtrepräsentanz der Bertelsmann AG ‚Unter den Linden 1’ zu Gast. Am Samstag und Sonntag öffnete die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP) ihre Türen und der Dialog konnte bei bestem Wetter auf der Gartenterrasse stattfinden.
Um dem Dialog Impulse zu verschaffen, wurden erfahrene Referenten aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Medien und Recht eingeladen. Im Anschluss an die einführenden Vorträge fanden sich die Teilnehmenden in Projektgruppen zusammen, um inhaltlich zu arbeiten und gleichzeitig aktiv an der zukünftigen Gestaltung des Dialogs mitzuwirken. Gemeinsames Arbeiten an einer übergeordneten Zielsetzung, so die Grundidee, fördert die Entstehung dauerhafter persönlicher Kontakte. Mittelfristig könnte dies zu einem Gegenbesuch in China und in einer institutionalisierten Zusammenarbeit des Studentenforums mit einer ähnlich ausgerichteten chinesischen Partnerorganisation führen.
Eva Nell erklärte sich großzügigerweise bereit, über das gesamte Wochenende die Moderationsleitung zu übernehmen. Frau Nell iist Mitglied im Tönissteiner Kreis und hat als Gründerin und Geschäftsführerin von Silkroad Management Consulting bereits vielfältige Erfahrungen bei Workshops zu interkulturellen Unterschieden zwischen Deutschland und China sammeln können. Eine Reihe an Vorträgen gaben Gesprächsimpulse und Inspiration für die weiterführenden Projekte: Annette Heuser, Vice Präsident Corporate Communications, überbrachte freundliche Grußworte unseres Unterstützers der Bertelsmann AG und gab einen Überblick über die aktuellen Aktivitäten des in China sehr stark engagierten größten europäischen Medienunternehmens. Dr. Hans Carl Freiherr von Werthern, Leiter des Referats China im Auswärtigen Amt, folgte mit einer spannenden Einführungsrede und gab dabei interessante Einblicke in seine tägliche Arbeit mit China auf diplomatischer Ebene. Anhand einiger Anekdoten aus seinem jahrzehntelangen Wirken im diplomatischen Dienst lieferte er den Teilnehmern aufschlussreiche Erkenntnisse. Bundeskanzler-Stipendiat Rong Fan aus Shanghai, der zurzeit an der TU Berlin zur Medienberichterstattung in China promoviert, hielt einen interessanten Vortrag zu seinen jüngsten Forschungsarbeiten. Das Thema „Das Deutschlandbild in der chinesischen Presse“ fand großen Anklang unter den Teilnehmern, was sich auch in der anschließenden weiterführenden Diskussion zeigte. Rebekka Rosenfeldt, Mitglied des Studentenforums und Rechtsreferendarin am Kammergericht, gab rechtsvergleichende Einblicke in die Rechtssysteme Deutschlands und Chinas. In ihrem Vortrag berichtete sie insbesondere über den seit Jahren sehr erfolgreichen deutsch-chinesischen Wissenstransfer auf dem Gebiet der Rechtswissenschaften und reflektierte auch eigene Beobachtungen, die sie in ihrer Studienzeit in Nanjing sammeln konnte.
Wie bereits angedeutet wurde, stand neben den Vorträgen vor allem die Gruppenarbeit im Fokus der Veranstaltung. Zum Abschluss der Veranstaltung präsentierten die verschiedenen Teams ihre Projektvorschläge, die auf eine weiterführende Zusammenarbeit auch über das Wochenendsymposium hinaus ausgerichtet waren. Eine Gruppe setzte sich zum Ziel, einen landesweiten Wettbewerb zu initiieren, der Deutsche und Chinesen, aber auch binationale Zweierteams dazu aufruft, Essays zu relevanten deutsch-chinesischen Themen zu schreiben. Dieser Deutsch-Chinesische Studienpreis soll dazu beitragen, das Netz der zivilgesellschaftlichen Beziehungen zwischen China und Deutschland noch enger zu knüpfen. Für den Pilotjahrgang wurde der Themenbereich „Demografie und soziale Sicherung gewählt“. Die weiteren drei Gruppen haben sich explizit die Gestaltung einzelner Panels des nächsten Deutsch-Chinesischen Studentendialogs vorgenommen: Die Gruppe „Nachhaltige Entwicklung“ beschäftigt sich mit der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Recht. Im Mittelpunkt stehen Fragestellungen wie beispielsweise „Wie wird Nachhaltige Entwicklung in den einzelnen Bereichen beider Länder definiert, interpretiert und vor allem bewertet? Aus welcher Motivation heraus beschäftigen sich die oben genannten Bereiche mit Nachhaltiger Entwicklung? Welche Hindernisse und unterschiedlichen Ansichten beeinflussen die Kooperationsanbahnung zwischen deutschen und chinesischen Partnern?“. Die Gruppe „Brain und Kreativität“ beschäftigt sich mit der Bildungs- und Forschungsinfrastruktur in China und Deutschland und stellt sich die Frage, wie Kreativität als Motor von Wissenschaft und Kultur im Ländervergleich verstanden, gefördert und umgesetzt wird. Brain steht dabei für Brain Sustain, Brain Drain und Brain Gain. Mit dieser Problemstellung wird ein noch laufendes Projekt des Studentenforums explizit auf die deutsch-chinesische Zusammenarbeit konkretisiert. Die Gruppe „Community-Plattform“ stellt wichtige Kommunikationsmedien für den Studentendialog, wie beispielsweise den Internetauftritt unter www.studentendialog2007.de, zur Verfügung.
Danksagung
Unser ausdrücklicher herzlicher Dank gilt Frau Eva Nell, die mit großem Einsatz und ihrem moderierenden Geschick einen großen Anteil am Gelingen der Veranstaltung hatte. Ebenso der DGAP, die uns perfekte Voraussetzungen für unser Seminarwochenende bot, und dabei insbesondere Hans-Bastian Hauck, der uns als Mitglied des Studentenforums und des Tönissteiner Kreises sowie Mitarbeiter der DGAP einmal mehr ein sehr hilfreicher Ansprechpartner war. Auch der Bertelsmann AG und Frau Annette Heuser sei an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön ausgesprochen für die großzügige Unterstützung durch Vortrag, Räumlichkeiten und Empfang auf der Dachterrasse der Hauptstadtrepräsentanz. Außerdem vielen Dank an Herrn Dr. Joachim Reidiess, Mitglied des Tönissteiner Kreises und Geschäftsführer der Dr. Wirth Gruppe, der bereits zum wiederholten Male ein Projekt des Studentenforums finanziell unterstützt hat. Nicht zuletzt gilt ebenfalls ein herzlicher Dank allen Referenten des Deutsch-Chinesischen Studentendialogs 2007 und natürlich ebenso den Teilnehmern der Veranstaltung.
Verantwortlich für die Organisation des Deutsch-Chinesischen Studentendialoges 2007 waren: Patrick Böert, André Kistner, Arne Lietz und Stefan Schaffer
Es laufen bereits die Planungen für den zweiten Deutsch-Chinesischen Studentendialog, der im Juli 2009 wieder in Berlin stattfinden soll.