Sur-Place-Dialog Marokko/Spanien – Auftakt der Projektreihe „Fortress Europe – Migration at Europe’s External Borders“
Vom 24. bis zum 31. Mai 2008 führte eine Gruppe von acht Mitgliedern des Studentenforums im Tönissteiner Kreis einen Sur-Place Dialog an der Spanisch-Marokkanischen Grenze durch, um die politischen Rahmenbedingungen von Migranten und Flüchtlingen und ihre Lebensbedingungen an einer der europäischen Außengrenzen zu untersuchen. Die Forschungsreise war der Auftakt der Projektreihe „Fortress Europe – Migration at Europe’s External Borders“, die sich systematisch mit den Bedingungen an den europäischen Außengrenzen und der europäischen Asylpolitik auseinandersetzt. Elminaz Kathami und Kay Neumann berichten von ihren persönlichen Eindrücken und den zahlreichen Erfahrungen während des Sur-Place Dialogs in Spanien und Marokko (Fotos: Michael Danner).
Zurück vom Sur-Place-Dialog Marokko/Spanien, einer „Rundreise“ entlang einer der südlichsten Grenzen Europas, möchten wir Euch von einer Begegnung berichten, die uns eine neue Sicht auf Fähren, Zäune und die Straße Gibraltars ermöglichte. Auf unserer achttägigen Tour (24. bis 31. Mai 2008) haben wir versucht uns durch eine sowohl inhaltliche als auch logistische Konfrontation mit den Wegen und Hürden von MigrantInnen in damit verbundene Problemlagen und Gedanken hineinzuversetzen und uns so selbst mit Fragen nach Fluchtmöglichkeiten oder potentieller Unterstützung (z.B. durch NGOs oder das UNHCR) zu beschäftigen.
Dabei gewannen wir (Ein-)Blicke nicht nur durch Zusammenkünfte mit Vertretern von NGOs (wovon Marokko immerhin 52 000 aufzuweisen hat), sondern eben auch durch Geschehnisse ‚neben der Spur’ – Jugendliche, die sich unter Lastwagen in Richtung Hafen verstecken, ein Treffen mit Migranten im Wald von Tanger oder ein kleiner Abstecher zu dem in Europa selten gewordenen Blick auf einen wirklichen Zaun in Ceuta und natürlich immer wieder aus verschiedenen Perspektiven der Blick rüber.
Beginnend im „neuen Europa“ erlebten wir Marokko als ein Land, das sich wie kein Zweites im Maghreb im Aufbruch und gleichzeitig in der Bedrängnis befindet. Einerseits gelingt es als liberaler, moderater und rechtsstaatlicher Staat die besten Beziehungen innerhalb der EuroMed-Beziehung zu der EU zu unterhalten und damit Fördergelder zu erhalten, die der Infrastruktur des Landes zugute kommen – gleichzeitig ist unter dem Druck des wichtigen Handelspartners die eigene Migrationspolitik aber eben auch so EU-konform wie nur möglich zu gestalten. Dass dies häufig nur unter systematischer Missachtung der nationalen Gesetze und zulasten der MigrantInnen möglich ist, erscheint neben der beachtlichen Summe von über 3 Billionen Euro, die seit 2002 in die ‚gemeinsame’ Sicherheitspolitik an ‚Europas’ Grenzen fließen, eher als Randnotiz neben den greifbaren Potenzialen, die diese Verbindung mit sich bringt.
Innerhalb dieser Dependenzen stellte sich uns auch die Rolle der NGOs und selbst des UNHCR vor Ort in einem neuen und teils ambivalenten Licht dar. So wurde uns beispielsweise gesagt, dass der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ für ganz Marokko lediglich ein mobiles Team von drei Ärzten zur Verfügung stünde. Staatliche medizinische Hilfe bleibt illegalen Flüchtlingen in Marokko quasi völlig versagt. Flüchtlingen, die es in die Auffanglager (Centro de Estancia Temporal de Innmigrantes – CETI) von Ceuta oder Melilla geschafft haben, ergeht es besser. Sie haben zwar keine Garantie, wirklich auf die spanische Halbinsel zu gelangen, doch werden sie rundum medizinisch versorgt, erhalten geregelte Mahlzeiten und können sich sowohl in den Lagern, als auch in den Stadtgebieten frei bewegen. Obwohl die Lebensbedingungen im Auffanglager von Ceuta häufig kritisiert werden (u.a. wird nachts aus Sorge vor sexuellen Übergriffen strikt nach Geschlechtern getrennt), wurde es überdeutlich, um wie vieles besser dort die Situation im Vergleich zu derjenigen der Flüchtlinge ist, die wir in den Wäldern um Tanger getroffen haben. Diese hausen in Verschlägen aus Holz und Folie, verfügen weder über sauberes Trinkwasser noch über Strom und mangels Arbeitserlaubnis müssen sie sich ihre täglichen Mahlzeiten erbetteln, dabei immer wieder Gefahr laufend, aufgegriffen und an die algerische Grenze abgeschoben zu werden.
Die Grenzübergänge nach Marokko oder Spanien, bei denen schon das Gesicht und der europäische Pass ausreichen, um kaum kontrolliert zu werden, machten auf beachtliche Weise den eigenen (rechtlichen) Status und die im krassen Gegensatz zu der Situation der MigrantInnen stehenden Privilegien deutlich – etwas, das in Zeiten des Schengen-Abkommens mehr und mehr aus den Augen gerät und zur Selbstverständlichkeit wird. Verstärkt wird dieses Gefühl durch die geographische und visuelle Nähe Spaniens zu Nordafrika. Für unsere Gruppe war es ein Leichtes, in das nur 14 km entfernte Spanien zu reisen, das man bei gutem Wetter vom Camp der illegalen Flüchtlinge aus sehen kann. Für uns ist es nur eine Passkontrolle, wohingegen es für viele der Flüchtlinge ein lebenslanger Traum von einer doch so weit entfernten Welt bleiben wird.
Laut dem deutschen Journalisten Alfred Hackensberger ist heutzutage „Rüberkommen nur noch eine Frage des Geldes“ oder eben der Herkunft, nicht aber zwangsläufig auch der Hinkunft – denn nur über den Zaun, an den Strand und die Grenze zu kommen, heißt schon lange nicht mehr, auch wirklich Fuß zu fassen auf europäischem Boden. Gelingt es den Flüchtlingen in Ceuta, Melilla oder auf den Kanarischen Inseln spanischen Boden zu betreten, bedeutet es noch nicht, dass ihnen das per Gesetz zustehende Asylverfahren auch tatsächlich zugestanden wird. Obwohl das spanische Recht eine Entscheidung binnen 40 Tagen vorschreibt, werden Flüchtlinge oft erst nach mehreren Jahren der Unsicherheit und des Wartens auf ein Asylverfahren urplötzlich abgeschoben.
Während wir in Tanger und Ceuta viel über die Situation der MigrantInnen in Marokko und den Auffanglagern erfuhren, bekamen wir beim Treffen mit einer Vertreterin der Organisation Andalucia ACOGE einen Eindruck von der Integrationsarbeit in Südspanien. Es wurde im Rückblick auf die Erkenntnisse aus Tanger und Ceuta deutlich, dass Migration und Integration zwar interagieren müssen, jedoch nicht als Hand-in-Hand-Verbindung gesehen werden können. Während die europäische Migrationspolitik an der Abbindung der Migrationsströme interessiert ist, bemühen sich NGOs wie etwa Cruz Blanca in Ceuta und CEAIN in Andalusien um eine bessere Integration der MigrantInnen. Zu dieser Gegenläufigkeit äußerte sich die Vertreterin, mit der wir sprachen, nahezu trotzig: „Die anderen machen die Politik, nicht wir“. Die andalusische Organisation Andalucia ACOGE bietet MigrantInnen vor Ort jedoch nicht nur direkte Hilfe an, sondern erarbeitet auch Ratschläge zum Umgang mit Migrationsthemen in den Medien und gibt beispielsweise konkrete Empfehlungen für Printmedien. Durch die Umsetzung der Empfehlungen sollen die Medien zu einer positiveren Einstellung zu MigrantInnen und zur Integration in der Gesellschaft beitragen. Es dürfe nicht das Bild einer Invasion oder des gefährlichen und kriminellen Ausländers verbreitet werden. Zentral sei es, die kulturelle Vielfalt einer Region nicht als Problem, sondern als Chance zu betrachten. Das Mittelmeer solle demnach auch nicht mehr als ‚natürliche Grenze’ zwischen dem europäischen und afrikanischen Kontinent betrachtet werden – eine Entfremdung, die durchaus auf die EuroMed-Politik der EU und die öffentliche Wahrnehmung dieses Gebietes zurückzuführen ist – sondern als eine Sphäre gegenseitiger Bereicherung, die es zu verstehen und zu erneuern gilt. Auf dem Weg von Marokko nach Spanien und zurück realisierten wir mehr und mehr, dass diese sich zwar wirtschaftlich und politisch sehr unterscheiden, beide Staaten jedoch geschichtlich und kulturell eine Vielzahl an Gemeinsamkeiten haben. Daher lassen sich, trotz geographischer Grenzen und gesellschaftlicher Grenzziehungen, beide Staaten in vielfacher Hinsicht als eine Region und einen Kulturkreis wahrnehmen.
Dass eine Gruppe deutscher Studierender extra nach Marokko und Spanien reist, um sich mit dem Thema Migration auseinandersetzen, erfuhr sowohl in Tanger, als auch in Ceuta besondere Aufmerksamkeit. In Tanger berichtete eine Tageszeitung von unseren Aktivitäten, während uns in Ceuta ein spanischer Journalist begleitete, um über unsere Beweggründe und Eindrücke zu schreiben.
Herzliche bedanken möchten wir uns in erster Linie beim Deutschen Akademischen Austausch Dienst, der diese Reise großzügig mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung förderte. Der Friedrich-Ebert Stiftung Marokko gilt ein großer Dank für die finanzielle Unterstützung wie auch für die unschätzbare logistische Hilfe. Nicht zuletzt bedanken wir uns beim Dialogpunkt Deutsch des Goethe-Instituts in Tanger für die tolle Hilfe vor Ort.
Verfasst von: Elminaz Khatami und Kay Neumann
Aus dem Studentenforum nahmen teil:
Thies Hauck, Lena Kampf, Elminaz Khatami, Arne Lietz, Kay Neumann, Caterina Rost, Albert Rühling und Jutta Steinmann. Außerdem sind wir schon sehr gespannt auf die vielen visuellen Eindrücke des Photographen Michael Danners, der uns in Marokko begleitete.
Weitere Informationen
Bericht “Migration at Europe’s southern border: Fortress Europe? Der Sur-Place-Dialog 2008 in Morokko und Spanien“ in deutsch mit Bildern
Detailliertes Programm des Sur-Place Dialogs mit Informationen über den Ablauf, die Ansprechpartner und relevanten Organisationen
Ein spanischsprachiger Bericht über das Projekt, erschienen in der lokalen Zeitung ‘El Faro de Ceuta’: ‘Responsables en la distancia’
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